Das flüssige Land : Roman

Edelbauer, Raphaela, 2020
Stadtbücherei Korneuburg
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Medienart Buch
ISBN 978-3-608-96436-3
Verfasser Edelbauer, Raphaela Wikipedia
Systematik DR - Belletristik
Schlagworte Zeitgeschichte, Umweltschutz, Dystopie
Verlag Klett-Cotta
Ort Stuttgart
Jahr 2020
Umfang 349 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Raphaela Edelbauer
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Ingrid Kainzner;
Eine junge Frau wird von einem mysteriösen Ort in den Bann geschlagen, der von einem unterirdischen Hohlraum verschlungen zu werden droht. (DR)
Ruth, die gerade über ihrer Doktorarbeit sitzt, erhält die Nachricht, dass ihre Eltern tödlich verunglückt sind. Sie möchte deren Wunsch, in Groß-Einland begraben zu werden, erfüllen. Doch sie weiß nur, dass dieser Ort irgendwo im Wechselgebiet liegen muss. Seltsamerweise erhält sie amtlicherseits die Auskunft, dass es keine Gemeinde dieses Namens gibt. Dennoch macht sie sich auf die Suche und gelangt tatsächlich in das kleine Städtchen. Es wirkt wie aus dem Bilderbuch: herausgeputzte Häuser, verwinkelte Gässchen und darüber das auf einem Hang thronende Schloss. Ruth kehrt im Gasthof zum Fröhlichen Kürbis ein und erfährt ein wenig über die Verhältnisse des Ortes. Das Sagen hat eine sogenannte Gräfin, von der die meisten BewohnerInnen abhängig sind. Offensichtlich will sie auch Ruth für ihre Zwecke einspannen und macht ihr ein Arbeitsangebot. Zunächst ist diese verwirrt, sie will ja nur bis zum Begräbnis ihrer Eltern bleiben. Doch fühlt sie sich merkwürdig von Groß-Einland angezogen, obwohl sie spürt, dass hier etwas Bedrohliches vorgeht. Der Ort liegt direkt über einem ehemaligen Bergwerk und der Sog, der von dem riesigen unterirdischen Hohlraum ausgeht, bewirkt eine stetige Absenkung, die immer größere Risse an Gebäuden und Straßen verursacht. Die Gräfin möchte, dass Ruth diesen katastrophalen Zustand mit "wissenschaftlichen" Kommentaren relativiert. Das Motto lautet "Schönung, Streckung, Auffüllung". Außerdem soll die junge Physikerin ein Füllmittel kreieren, um den Untergang Groß-Einlands zu verhindern.
Schwankend zwischen Unbehagen und Euphorie nimmt sie das Angebot an. Doch "das Loch war im Grunde unbeherrschbar. Es war ein unendliches Ausatmen des Landes, dessen Brustkorb sich bis an die Rippen senkte, diese durchbrach und die Organe verdrängte." Und so wie das Loch Groß-Einland zu verschlingen droht, scheint es etwas anderes an die Oberfläche zu bringen. Etwas, wovon die BewohnerInnen des Ortes nicht sprechen wollen. Während der Sog aus der Tiefe immer stärker wird, Gebäude in sich zusammenfallen, Menschen und Tiere in den sich auftuenden Spalten verschwinden und schließlich der Kirchturm einstürzt, wird immer unerklärlicher, warum die BewohnerInnen nicht schon längst die Flucht ergriffen haben.
Man mag das Buch nicht aus der Hand legen, bevor man weiß, ob es Ruth gelingt, sich aus dem Bann des mysteriösen Ortes zu befreien. Der Angelpunkt des vielschichtigen Romans ist ein nicht gesühntes Verbrechen, das durch die im Erdinneren arbeitenden Kräfte nun offensichtlich ans Licht kommt. Ein hochdramatischer Stoff wie aus einem antiken Drama. Der unaufgeregt-nüchterne Stil der Autorin schafft dazu eine Distanz, welche die Ungeheuerlichkeit des Geschehens umso stärker zum Ausdruck bringt. Obwohl das Rätsel von Raum, Zeit und Bewusstsein immer präsent ist, wird es nicht explizit herausgestellt, sondern eher nebensächlich eingeflochten. Nicht zufällig liegt Groß-Einland ganz in der Nähe von Kirchberg am Wechsel, wo Ludwig Wittgenstein einige Monate lebte. Auch Referenzen an andere Autoren werden spielerisch eingefügt. So gibt es in Groß-Einland nicht nur einen Hutmacher, auch die herrische Gräfin scheint ein Pendant der grausamen Königin von Alice in Wonderland zu sein. Und das Schicksal, auf klare Fragen absurde Antworten zu erhalten, teilt Ruth sowohl mit Alice als auch mit K. in Kafkas "Schloss". Es ist faszinierend, wie Raphaela Edelbauer sich dem Thema Schuld und Sühne nicht nur ethisch nähert, sondern auch die materielle (tektonische) Dimension miteinbezieht.
"Das flüssige Land" ist außergewöhnlich, es verwundert nicht, dass sich schon vor seinem Erscheinen zehn Verlage um das Manuskript bewarben.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Helmut Gollner;
Österreich mit Loch
Raphaela Edelbauers Roman »Das flüssige Land«
Vorneweg in aller Kürze: Raphaela Edelbauer träumt Österreich; ein Traum mit enormem sprachlichem, metaphorischem, mythischem, philosophischem Aufwand. Was enthüllt der Traum? Was wir eh gewusst haben: Österreich hat eine erschreckende Nazi-Vergangenheit und eine erschreckende Tendenz, sie zu verdrängen.
Die für diese Einsicht inszenierte Handlung: Die Physikerin Ruth Schwarz fährt nach dem plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern in deren Herkunftsdorf Groß-Einland, das nirgends verzeichnet ist, als Nicht-Ort allen Projektionen zur Verfügung steht. Der idyllisch anmutende Ort (Nachtwächter mit Laterne und Hellebarde) ist hohl: gebaut über einem riesigen Loch, nach frühem Bergbau später von den Nazis als Munitionsfabrik und zur Ermordung von Zwangsarbeitern genutzt, zuletzt zur Entsorgung der vielen Leichen aus den Kellern der Dorfbewohner. Das Loch, eine ausgebaute Metapher »ist im Grunde unbeherrschbar. Es war ein unendliches Ausatmen des Landes.« Über dem Ort thront in adeliger Allmacht die (falsche) Gräfin, Besitzerin des ganzen Dorfes. Ihre Politik: Vertuschung der katastrophalen Verhältnisse. Das Loch wird den Ort verschlingen, die Zerstörungen an den Häusern nehmen rasant zu, Straßen unpassierbar, es gibt erste Tote.
Ruth bleibt für Jahre. Die Zeit ist außer Kraft. Die Realität, trotz äußerer Ähnlichkeiten, auch, »ein dauernder Derealisierungszustand«. Ruth kam, um ihre Eltern zu begraben. Als sie die Sache in die Wege leiten will, sind die Eltern längst in Wien bestattet. Ruth hat im Dorf zunächst Heimatempfindungen, wird von der Gräfin protegiert, erhält von ihr den Auftrag, eine Substanz zu finden, mit der man das Loch auffüllen kann. Das gelingt ihr auch, aber zuerst nebenher, dann hauptsächlich recherchiert sie die Geschichte des Lochs und des Ortes und damit auch die Geschichte ihrer Eltern. Die Gräfin befiehlt ein aufwändiges Fest (500-köpfige Marschkapelle, Radetzkymarsch in Endlosschleife), in dem das Loch nicht nur aufgefüllt, sondern gleich als Kunstaktion inszeniert werden soll. Ruth ist eine zittrige junge Frau, aber schließlich entscheidet sie sich für Aufdeckung und Widerstand. Nach den geheimen Gesetzen des Ortes ist das jedoch nicht möglich. Unmittelbar vor ihrem entscheidenden Auftritt beim Fest setzt sie sich in ihr Auto und fährt zurück nach Wien, wo es Klarheit und handhabbare Wirklichkeit gibt. Der Albtraum Österreich wird durch Erwachen abgebrochen, seine Irrealität geheilt durch Realität. Ruth fährt nach Hause, mehrere Erzählfäden baumeln.
Edelbauer ist kein einfacher Fall: gesagt werden muss auch, dass sie eine wortmächtige Frau ist, literarisch zweifellos begabt. Angeführt wird die Schöpfung einer Zweitwelt vom Zustand der Natur. Da erinnert Edelbauer manchmal an Hans Lebert oder Klaus Hoffer. Natur ist nicht das unbeteiligte Gegenüber des Menschen, sondern der Innenzustand der sozialen Außenwelt; sie ist zugleich Spiegel, Drohung und Rache am Menschen. Ruth ist süchtig nach Natur, bis zur mythischen Selbstidentifikation mit ihr.
»Das Erdreich schmatzte unter meinen Tritten, ob ich auf Gräbern oder Wegen unterwegs war, war unmöglich zu sagen. Der Untergrund drückte mir gegen die Sohlen, unter denen ich leichte Bewegung wahrnahm und auf einmal Ameisenstraßen, Regenwürmer, Käfer bei ihrem Mahl an den frisch eingesenkten Körpern zu ertappen meinte. [] Jeder Grashalm eine empfindsame Extension meiner eigenen Nerven als wäre alles aus demselben Gedanken gemacht. [] Selbst die Tan de0 nenzapfen schienen mir ein ureigener Ausdruck einer tiefen Wahrheit zu sein, die in einer harten, krustigen Sprache vom Boden aus verstanden werden musste.«
Heimat für Ruth, wird die Natur Groß-Einland verschlingen. Die Inthronisierung der Natur als Meisterin des Menschen ergibt literarisch die besten Passagen des Buches.
Edelbauer kann aber auch manchmal gut ironisch sein, manchmal spannend erzählen.
Edelbauers ehrgeiziges Unternehmen hat aber auch Gestaltungsschwächen:
Ist Ruth eine durchgestaltete Figur? Im katastrophalen Groß-Einland hat man manchmal den Eindruck, dass Ruths Reaktionen auf die erzählten Ereignisse eher zu passen haben als auf die Person (auf dem Friedhof hat man zu weinen, bei Katastrophen hat man zu erschrecken), also eher funktional sind als genuin.
Auf Seite 277 hat Ruth vier Mal bestürzt zu sein: »Das war der Augenblick, in dem ich meine Fassung verlor.« » bis ich leergeheult auf den Stiegen verblieb.« »Ein Weinkrampf schüttelte mich aufs Neue.« »Ich weinte Sturzbäche.«
Die Ich-Erzählerin beschreibt sich wie von außen (außen ist das Weinen, das jeder andere auch sehen und beschreiben kann). Eine Ich-Erzählerin hätte mehr zu tun, als sich an der eigenen Oberfläche zu beobachten.
Überhaupt neigt Edelbauer dazu, Gefühle zur Sache von Vokabeln (Adjektiven) zu machen. Bei bestimmten Ereignissen braucht man eine starke Reaktion: also her mit den starken Worten! »Ein unfassbares Entsetzen« überkommt Ruth anlässlich der Banalität ihrer Umgebung oder eine »unsägliche Klaustrophobie«, als wieder jemand stirbt. Extremausdrücke sind noch keine Gestaltung, und sie bergen die Gefahr, die Töne eher als die Dinge stark zu machen. Auch bei Metaphern neigt Edelbauer manchmal zur Überinstrumentalisierung.
Opa spricht: Vielleicht tut es der zweifellosen Begabung Edelbauers gut, sich einmal thematisch wie sprachlich zu vereinfachen.
Bemerkung Katalogisat importiert von: Rezensionen online open (inkl. Stadtbib. Salzburg)
Exemplare
Ex.nr. Standort
4789 DR, Ede

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