Letzte Ausfahrt vor der Grenze : Erzählungen

Prugger, Irene, 2011
Stadtbücherei Korneuburg
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Medienart Buch
ISBN 978-3-85218-699-3
Verfasser Prugger, Irene Wikipedia
Systematik DR - Belletristik
Schlagworte Frauen 603 , Geschlechterrolle, Humor, Männer, Geschlechter, Geschlechterkampf
Verlag Haymon
Ort Innsbruck
Jahr 2011
Umfang 178 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Irene Prugger
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Barbara Tumfart;
Neue österreichische Literatur als Beziehungsratgeber. (DR)

Paarbeziehungen enden gerne nach langjähriger Dauer im Alltagsfrust, der vergleichbar mit der Eintönigkeit einer Autobahn erscheint. In Irene Pruggers Erzählband "Letzte Ausfahrt vor der Grenze" haben die Figuren in den insgesamt achtzehn Erzählungen eine Gemeinsamkeit: Sie versuchen, aus dem Alltagstrott, der Routine auszubrechen, nehmen quasi die Abfahrt. Fraglich bleibt allerdings, ob sie das angestrebte Ziel durch diese abrupte Änderung auch erreichen. So wie das Ehepaar, das sich eine Woche "Auszeit" auf getrennten Wegen verordnet, um dann im gleichen Urlaubsort wieder aufeinanderzutreffen, oder die Paartherapeutin, die während einer Sitzung nur an die eigene verkorkste Beziehung denkt. Spannend aber auch die Geschichte eines jungen Selbstmörders, der über seine Tat und die dadurch für seine Mitreisenden verursachte mehrstündige Zugverspätung sinniert.
In einem kühlen, nüchtern-distanzierten Erzählton begibt sich die 1959 in Hall in Tirol geborene Schriftstellerin in das Seelenleben von ganz normalen Durchschnittsmenschen, die den Sinn ihres Lebens noch nicht gefunden oder aber bereits übersehen haben. Unterhaltsame, zügig lesbare neue österreichische Erzählliteratur, die durch sehr unterschiedliche und abwechslungsreiche Geschichten zwar keinen sehr nachhaltigen, aber durchwegs positiven Eindruck bei den LeserInnen hinterlässt.

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Quelle: Forschungsinstitut Brenner-Archiv (http://www2.uibk.ac.at/brenner-archiv/);
Autor: Florian Braitenthaller;
Ein Grundmotiv all dieser Erzählungen ist "Die Unmöglichkeit, wirklich zueinander zu finden." Das schwebt als Drohung über allen Beziehungen angesichts der Banalität des Alltags: Beziehung und Beziehungslosigkeit, das Leiden am einen wie am andern, ohne darüber in selbstgefällige Larmoyanz zu verfallen. Das wird stilistisch auf hohem Niveau verhandelt, klug beschrieben und mit dem nötigen Humor präsentiert.
In achtzehn Erzählungen entwirft Irene Prugger einen Figurenreigen problematisierter Identitäten: Frauen, Ausländer, Randexistenzen, die sich ihres Platzes in der Gesellschaft nicht sicher sind, die ihre Standortbestimmung im Beziehungskosmos suchen: "Paartherapie", "Rendezvous", "Dark Room". Was jedoch als Ausgangssituation vielleicht sogar banal klingen mag, ist als ausgeführte Erzählung alles andere als das.
Mit viel Einfühlungsvermögen verfolgt Prugger Ideen, Wünsche und Zweifel ihrer Figuren, die vom Menschlichen-Allzumenschlichen gequält sind. Präsentiert werden vorwiegend Handlungen und Situationen, die eine beobachtende Erzählerin reflektiert begleitet. Erzählanordnungen werden zu Versuchen, die Situationen, in die beziehungswillige Protagonisten geraten, verständlich zu machen. Daraus entsteht Ambivalentes, manchmal Vergnügliches, stets Ergreifendes. Einige Texte sind über Wortspiele konstruiert, die die Sprache auf ihre Doppelbödigkeit hin ausloten.
Die als Pointen formulierten Enden folgen einem Prinzip: der Überraschung und vermitteln bisweilen die Selbsterkenntnis, dass gerade eigene Erklärungsmuster anzuzweifeln sind. Auch zeichnen sich die Erzählungen durch große Lebensnähe und Perspektivenreichtum aus; das Schreiben hin zur Pointe funktioniert so gut, dass sich kein Ende erraten ließe.
Die Erzählstimme, aus einer bevorzugt weiblichen Perspektive, ist ihren Figuren sehr nah, sie kennt deren Wünsche, Hoffnungen und Enttäuschungen. Präzise Beobachtungen weniger von Äußerlichkeiten, mehr von Vorstellungen, Erwartungen, Mutmaßungen, dem Durchspielen möglicher Begegnungen und deren Verlauf. Aggressionen werden raffiniert verborgen, sie wirken aus dem Untergrund - Frauen und Männer auf der Gefühlsschaukelbahn.
"Als er dann auch noch mit den Fingern in ihrem Gesicht herumfuhr, hatte Erna endgültig genug von der Heuchelei und dem stillen Darniederliegen. Ich will leben', schrie es aus ihr, ich will leben, ich will lieben!' Und sie brüllte zu Gott, der alle zu Staub macht und nichts als zu Staub: Ich, ich, ich!'" (S. 41)
Alles ist belebt, alles ist beseelt: Sexpuppen, Tiere, Tote nicht anders als die "Lebenden", das Spektrum "handelnder" Protagonisten ist so ungewöhnlich wie plausibel. Warum sollen Tote nicht denken können? Im Sog des Existierens sind alle der erzählenden Reflexion ausgesetzt - jenseits aller Grenzen.

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Quelle: Pool Feuilleton;
Nichts ist so aufregend wie das Märchen von der letzten Chance. Diese ultimative Drohung mit radikaler Veränderung verzeiht den Helden keinen Fehler, andererseits spekulieren diese mit dem Möglichkeitssinn: Was passiert eigentlich, wenn ich die letzte Chance nicht schaffe?
Irene Prugger stellt in achtzehn Erzählungen sogenannte Beziehungsdramen vor, worin die Darsteller mehr oder weniger ans Ende gekommen sind, aber dann doch noch versuchen, die Kurve zu kratzen.
In der Titel gebenden Erzählung "Letzte Ausfahrt vor der Grenze" (67) kratzt eine Frau im wahrsten Sinne des Wortes die Kurve. Ihr Mann ist Politiker und gehört der Gesellschaft, sie hat sich hinter der Grenze einen Lover zugelegt, mit dem sie sporadisch so genannte Höhepunkte des Zusammenseins erlebt. Getarnt als Wellness-Urlaub ist die Frau schon knapp an der Grenze, als ihr einfällt, dass sie zu Hause das ausgedruckte Mail des Lovers liegen hat lassen. Spontan nimmt sie die letzte Ausfahrt und in diesem Moment kommt es auf der Hauptstrecke zu einem katastrophalen Unfall. Das schlechte Gewissen hat ihr offensichtlich das Leben gerettet.
Die sogenannte Moral quält generell die Menschen, die sich auf Querverbindungen eingelassen haben. Gleich in der ersten Geschichte "Paartherapie" (7) begibt sich ein Paar zur Therapeutin und erzählt vom Glück. "Wie therapiert man ein glückliches Paar, ohne es ins Unglück zu stürzen?" Die Therapeutin taucht während des Gesprächs selbst ab und geht allerhand triviale Begebenheiten ihrer eigenen Beziehungskrise durch. Als sie wieder in der Therapiewirklichkeit ankommt, empfiehlt sie gemeinsames Kochen, weil das immer gut ankommt. Da stellt sich heraus, dass das glückliche Paar aus gewissen Gründen getrennte Küchen hat.
Verfremdungen, die nahtlos in die Gewöhnlichkeit übergehen, sind ein Hauptmotiv in Irene Pruggers Erzählungen. Ein verödetes Paar nimmt sich eine Woche Auszeit, niemand braucht dem anderen zu erzählen, was auf dem Programm steht. Witzigerweise fahren beide getrennt an den gleichen Ort der gemeinsamen Erinnerung.
Ähnliches trägt sich auch im Dark Room eines Swingerclubs zu. Erst in der Verfremdung der öffentlichen Erotik findet ein Paar wieder Lust aufeinander.
Und immer wieder ist es die Routine, die die Menschen zur Verzweiflung bringt. Kein Wunder, dass sich in der Geschichte vom Anfang des Tunnels (145) jemand vor den Zug wirft, aus seinem Körper heraustritt und feststellt, dass nicht einmal ein geordneter Abgang aus dem Desaster des Lebens möglich ist.
Irene Pruggers Erzählungen sind wahr, denn als Leser muss man zum hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der Plots nicken, sie sind spannend, weil sie dramaturgisch einwandfrei immer eine Überraschung auf Lager haben, und sie sind schließlich ergreifend, denn wir Leser sind alle ähnlich gepolt wie diese aufregenden Alltagshelden.
Helmuth Schönauer
Bemerkung Katalogisat importiert von: Rezensionen online open (inkl. Stadtbib. Salzburg)
Exemplare
Ex.nr. Standort
1273 DR, Pru

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